Thomas Hirschhorn: »Bic« und Politisches Engagement
»Bic« und Politisches Engagement
(p. 83 – 85)

»Ich will arbeiten, handeln«

Thomas Hirschhorn

»Bic« und Politisches Engagement

In seinen beiden Beiträgen zeigt Thomas Hirschhorn, warum nicht »politische Kunst«, sondern Kunst politisch gemacht werden sollte. Indem er Klassifizierungen wie »Politische Kunst«, »Engagierte Kunst« und »Politisch engagierter Künstler« zurückweist, etabliert Hirschhorn eine Definition der Kunst, die sich über die Relation von »Liebe«, »Politik«, »Philosophie« und »Ästhetik« realisiert. Damit verteidigt er eine Kunst, deren Politizität in der künstlerischen Aktivität und nicht in einem politischen Einsatz liegt. Durch diesen Abstand, der Hirschhorns Position von einer Kunst der Meinungsfindung distanziert, formuliert sich die Autonomie des Werks, die sich nicht auf einen Kontext dezimieren lässt, sondern die Wirklichkeit direkt konfrontiert.


Anlässlich meiner Ausstellung »Très grand Buffet« in Fribourg hat jemand bemerkt, dass die Arbeiten der Serien »Virus«, »Merci, Danke, Thank You« und »Die Tränen« mit Kugelschreiber gemacht sind. Diese Person wollte wissen, ob ich sie mit Kugelschreibern der Marke »Bic« machte, und wies mich darauf hin, dass die Fima »Bic« finanziell von Le Pen unterstützt wird. Eine Information im offiziellen Magazin zur Finanzierung der politischen Parteien hat diese Tatsache publik gemacht. Es ist scheiße, Le Pen zu unterstützen. Aber es ist auch scheiße, sich mit solchen Fragen beschäftigen zu müssen. Ich benutze Kugelschreiber der Marke »Bic«, weil sie nicht teuer sind und überall zu haben, sie sind einfach und liegen gut in der Hand. Ich liebe es, mit Kugelschreibern zu arbeiten, weil alle Welt sie kennt und benutzt. Es ist darüber hinaus eine Wahl hinsichtlich ihrer Universalität, ihrer Nicht-Farbigkeit, ihrer Nicht-Unterscheidung. Mit Kugelschreibern zu arbeiten, ist für mich eine künstlerisch-politische Entscheidung. Das bedeutet eben, dass ich meine künstlerische Arbeit politisch zu machen versuche, indem ich zum Beispiel dieses Material benutze. Das ist etwas, woran ich als Künstler sehr stark glaube. Wenn ich hingegen eine politische Arbeit machen würde, sollte ich nicht mehr mit Kugelschreibern der Marke »Bic« arbeiten; was aber ist mit den anderen Marken, die politische Unterstützung leisten? Was machen die Füllfederhalter, die Textmarker? Muss man mit einem »Mont Blanc« arbeiten, um ein ruhiges Gewissen zu haben und gleichzeitig einer Elite anzugehören, die sich durch ihr Schreibwerkzeug hervortut? Offenkundig stelle ich mir diese ganzen Fragen nicht, denn ich will arbeiten, handeln. Aber ich will mir nicht meine Energie durch Informationen und Informanten nehmen lassen, die zugleich politisiert und machtlos sind. Zuviel Gewissenhaftigkeit tötet die Kunst, und zuviel Gewissenhaftigkeit kanalisiert alle vitalen Energien, damit die Revolte nicht mehr existieren kann. Was die allzu gewissenhaften Leute vergessen, ist, dass ich einen Kampf führe, ein Gefecht, dessen Ergebnis mir ungewiss erscheint, das ich aber nicht gewinnen kann, indem ich mich hinter einem formellen und überprüfbaren politischen Engagement verstecke, das konformistisch und versichernd ist. Ich will für mehr Gleichheit und Gerechtigkeit kämpfen, menschliche Gleichheit, menschliche Gerechtigkeit. Indem ich meine Arbeit als Künstler politisch mache, indem ich mir Fragen politisch stelle, und nicht, indem ich politische Fragen stelle und eine politische Arbeit mache, also eine mit Bedeutung.

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Tobias Huber (éd.), Marcus Steinweg (éd.): INAESTHETIK – NR. 1

Um das Thema »Politiken der Kunst« gruppieren sich die Texte der Nummer 1 der Zeitschrift INAESTHETIK. Gibt es einen politischen Auftrag des Kunstwerks? Wie bestimmt sich der Ort des Kunstwerks im sozialen Feld? Wie verhalten sich Kunstproduktion, Kunstkritik, Kunstwissenschaften und Philosophie zueinander? Ist Kunst zwingend kritisch: institutions-, markt- und ideologiekritisch? Oder setzt das Kunstwerk noch der Kritik und ihrem guten Gewissen Grenzen, die aus ihm eine riskante und vielleicht notwendig affirmative Praxis machen? Liegt der Sinn in diesen immer wieder mit dem Kunstwerk verbundenen Kategorien des Widerstands und der Subversion nicht auch in einer Art Selbstberuhigung, die es dem Künstler und der Künstlerin erlaubt, am politischen Spiel ohne wirklichen Einsatz teilzunehmen, sodass das politische Bewusstsein die Funktion einer uneingestandenen Entpolitisierung übernimmt? Wie affirmativ muss ein Kunstwerk sein, um subversiv oder politisch sein zu können?

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