Exodus. Gods and Kings

Trmasan Bruialesi, 06.04.2017

Lieber Paul,

 

kurz nach Deiner überstürzten Abreise aus Warschau habe ich mir in einem freien Moment die DVD gegönnt, die Du – ich ­nehme an, absichtlich? – liegen gelassen hast. Warum gerade Ridley Scotts Exodus: Gods and Kings von 2014? Du wirst Deine Gründe gehabt haben, und Du wirst dafür geradestehen müssen. Denn als nach einer eher lauen ersten Stunde endlich die erste Plage mit digitaler Wucht über Memphis hereinbrach, klopfte es an die Tür. Es war der junge deutsche Fotograf vom Vortag auf der Vernissage – ich hatte die Begegnung verdrängt und die Verabredung vergessen – in Begleitung seiner polnischen Freundin und seiner ­Mappe. Er trug Béret und Bart und wirkte auf eine selten selbstverliebte Art ehrgeizig; er arbeite, sagte er, an einem großen Ding, es werde ­»wielki«, fügte er kokett auf Polnisch an. Die wichtigsten polnischen Künstler/Künstlerinnen will er porträtieren, Musiker, Maler, Autoren, Fotografen und natürlich Filmemacher, um sie dann im Gummidruckverfahren zu verewigen, »unsterblich zu machen«, seine Worte. Ohne Dich mit technischen Details zu langweilen, musst Du wissen, dass der Gummidruck das bevorzugte Edeldruckverfahren der Piktorialisten Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war, ein Verfahren, das im Gegensatz zur klassischen Silber-Fotografie außerordentlich beständig ist, aber eben auch außerordentlich manieriert. Mit dem Gummidruck macht sich der Lichtbildner zum Maler der Ewigkeit. Mein Einwand, dass die Vergänglichkeit zur Genese der Fotografie gehöre, dass das Licht, welches das Bild erst zeichnet und dann sichtbar mache, es früher oder später auch wieder löschen dürfe, ja müsse; wobei: auch das stille Ver­rotten der Fotopapiere, der Platten und Filme in den Archiven sei nur ein sanftes Echo auf das Verwesen ihrer Barthes’schen Referenten; und ob er je Nicéphore Nièpces »Point de vue du Gras« im Original gesehen habe, die (im Gegensatz zu der von Gernsheim autorisierten, allgemein bekannten Reproduktion) kaum mehr lesbaren Spuren, welche das Licht vor 190 Jahren auf einer mit Judäa-Asphalt beschichteten Zinnplatte hinterlassen hatte – einem lichtempfindlichen Bitumen übrigens, das seit Urzeiten aus dem toten Meer gewonnen wird. Ich fragte ihn, ob er wisse, dass das persische Wort für Asphalt »mumia« lautet und im Alten Ägypten namensgebend war für das, was wir unter Mumifizierung verstehen: Künstliche oder natürliche Umstände verhindern Verwesungsprozesse zum Preis einer permanenten physischen Anwesenheit, welche doch nur die permanente geistige Abwesenheit manifestiert. Kurz, sagte ich, Gummidrucke sind die Mumien der Fotografie! Rückblickend war das wohl der Punkt, an dem ihn seine polnische Freundin zum Aufbruch drängte. Als sich die beiden leicht indigniert verabschiedet hatten, ohne dass wir auch nur ein einziges seiner Bilder betrachtet oder besprochen hätten, fühlte ich mich müde, ausgelaugt und ergab mich erneut den Plagen über Memphis, verschlief die Flucht der Israeliten und wurde erst von den aufgepeitschten Wassermassen des Showdowns geweckt – kein wirklich erhabenes Erwachen. Weißt Du, was ich an dieser Verfilmung wirklich vermisse? Die Szene, die sonst in keinem Bibelfilm fehlen darf, weil von unglaublich mythologischer Kraft: Exodus Kapitel 2 Vers 1–10, die mit dem kleinen Mose, ausgesetzt auf dem Nil in einem »Kästlein von Rohr«, wie Luther übersetzte, von seiner Mutter verklebt »mit Erdharz [sic!] und Pech«, um es ­wasserdicht zu machen – oder gar licht­dicht? War das Kästchen eine Kamera? War Mose ein Film? Sicherlich, das ist ein Kurzschluss, aber was für einer!


Dein Trmasan

 

Trmasan Bruialesi, 10.04.2018

Lieber Paul,

ich mag die billigen Jerry-Cotton-Heftchen aus den 60ern. Da wird noch anständig geraucht und Whiskey gekippt – und da werden Fotos noch ganz genau unter die Lupe genommen. Ein Umstand, den ich heute oft schmerzlich vermisse, vor allem bei mir bekannten Kuratorinnen und Kuratoren. Kürzlich sagte mir eine Kuratorin am Telefon, dass sich seit der Digitalisierung der Fotografie eine solche Fragestellung wohl erübrigt habe; dabei hatte ich sie nur gefragt, inwiefern, würde man ein Negativ verkehrt in die Bühne des Vergrößerungsgerätes einlegen, ein derart belichtetes Positiv noch der darauf abgebildeten Wirklichkeit entspräche? Ein solches Positiv, so meine Annahme, sei doch identisch mit dem seitenverkehrten Bild auf der Mattscheibe einer Kamera und entspräche – da die Weltkoordinaten bereits in Kamerakoordinaten übersetzt vorlägen – mehr dem Blick des Fotografen auf ein (Ab-)Bild der Welt als der Welt an sich. Ja, wollte ich weiter ausführen, unser Blick auf unser Spiegelbild sei doch gleichermaßen eine erste Abstraktion von Wirklichkeit; wir bräuchten sogar den Blick über zwei Spiegel, um uns so zu sehen wie die Welt uns sieht. Doch dazu kam ich nicht, da sich sowohl die Fragestellung, so die Kuratorin, wie auch eine Antwort im Zuge der Digitalisierung erübrigt hätten. Dabei scheint mir die Spiegelbildlichkeit (oder Händigkeit) nach wie vor eine der substantiellsten fotografischen Fragen zu sein. Nicht nur für den linkshändigen Mörder bei Jerry Cotton, der – hätte ein schussliger Polizeilaborant den Film falsch herum eingelegt – als fotografisch bewiesener Rechtshänder dem elektrischen Stuhl wohl entgangen wäre, wenn nicht ein findiger G-man in der rechten unteren Ecke eine Autonummer und im Hintergrund eine Schaufenster­beschriftung entdeckt hätte, beide unleserlich, weil seitenverkehrt bzw. horizontal gespiegelt, aber trotzdem noch wahrheitsgetreu und unverzerrt dem Abgebildeten verpflichtet wie ein Druck dem (ebenfalls seitenverkehrten) Druckstock. Aber eben: unleserlich. Denn Schriftzeichen, und mit ihnen alle Zeichen, werden gespiegelt zu etwas ANDEREM (ausgenommen die symmetrischen wie die 8, die Großbuchstaben H, W, I oder ein stilisierter Adler auf einer Wappenscheibe), was ja den hinlänglich bekannten Unterschied zwischen Abbild und Zeichen ausmacht. Das kleine Wörtchen PIPIFAX mag dies illustrieren: Ursprünglich verwendeten die Juden den Gottesnamen YHWH (Jahwe) auch in griechischen Bibelübersetzungen. Es wurde festgelegt, dass die hebräische Schreibweise des so genannten Tetragrammatons exakt beibehalten werden soll. Es schrieb sich von rechts nach links. Die Schreibweise der Griechen war jedoch von links nach rechts, YHWH lasen die Griechen deshalb als HWHY. Die vier hebräischen Schriftzeichen ähnelten den griechischen und lasen sich für Griechen wie PIPI. Bei einer Lesung des Bibelfaksimile fragten die Griechen, was denn PIPI in dem Fax (für Faksimile) bedeuten soll. Es war für sie unverständlich, und deswegen sprachen Leser der Abschriften von einem PIPI-Fax. In der heutigen Umgangssprache bedeutet PIPIFAX soviel wie Unsinn, Kleinigkeit, Mist. Im Spiegelbild hat der Name Gottes also die Bedeutung Unsinn, Kleinigkeit, Mist – kurz, das Zeichen stimmt offensichtlich nicht mehr mit dem Bezeichneten überein. Doch zurück zur Fotografie: Wenn wir die fotografische Aufnahme eines Hauses horizontal spiegeln würden, bliebe alles gleich und doch nicht gleich. Was oben ist, bleibt oben, das Dach wäre am Ort, die Türe auch, die Fenster, der Kamin am rechten Platz; und doch wäre alles verkehrt, seitenverkehrt. Die Bedeutung jedoch änderte sich nicht: das Haus bleibt das Haus bleibt das Haus. Ein Betrachter müsste, sofern er den Ort und das Haus nicht aus eigener Anschauung kennen und erinnern würde, davon ausgehen, dass alles seine Ordnung hat. Aber nun hängen wir in Gedanken ein Schild ans Haus mit einer Aufschrift, sagen wir: JERRY COTTON. Auf dem gespiegelten Bild wäre nun NOTTOC YRREJ zu lesen, was zwar nichts bedeutet, aber für jeden des Lesens und Schreibens fähigen Betrachter Indiz genug wäre, dass etwas...

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Lieber Paul 3

Trmasan Bruialesi, 13.12.2017

Lieber Paul 2

Trmasan Bruialesi, 13.12.2017