Ich hätte ihn nicht einstellen dürfen

Jochen Thermann

Der Hilfskoch

Date de parution : 10.04.2018

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Ich hätte ihn nicht einstellen dürfen. Dabei schien er geeignet, meinen regulären Koch zu vertreten. Schneider hatte sich krankgemeldet, und da es eine langwierige Geschichte zu werden drohte, hatte ich den stämmigen kleinen Mann, der nur gebrochen deutsch sprach, ohne viel Aufhebens eingestellt. Das Geschäft musste schließlich weitergehen, die Gäste waren hungrig.

Oft werden einem ja die komplizierten Beziehungen, die man unterhält und die von einem schwer entzifferbaren Codex begleitet werden, gar nicht klar. Erst wenn die Dinge aus dem Ruder laufen, erkennt man, wie gut zuvor die selbstregulativen Mechanismen griffen: wie Schneider seine Einkäufe organisierte, wie er seine Gehilfen anwies, seine Zutaten komponierte und wie treu er selbst daran interessiert war, das Geschäft voranzutreiben.

Der Aushilfskoch arbeitete vordergründig genauso. Er kaufte selbst ein. Er kochte ganz ausgezeichnet, und man lobte mich sehr für die überraschenden Geschmäcker, die der Hilfskoch Waldemar auf der Zunge meiner Gäste zum Vorschein brachte. Waldemar hatte eine besondere Gabe, die bekannten und bei meinen Gästen beliebten Gerichte auf anfangs unauffällige Weise zu verfeinern. Tatsächlich verdanke ich eine beträchtliche Verbesserung meiner Vermögensverhältnisse diesem in seinem Küchenreich zu lange unbeobachtet waltenden Aushilfskoch Waldemar. – Eigentlich hieß Waldemar gar nicht Waldemar, aber wir konnten seinen Namen nicht aussprechen und fanden zur Belustigung der gesamten Küche, dass Waldemar so ähnlich klang. – Natürlich hatte ich anfangs noch sporadisch auf den neuen Koch geachtet, auf die Sauberkeit etwa, um keine Probleme mit dem Ordnungsamt zu bekommen, auf die Zutaten, die er besorgte, auf seinen Stil. Doch als das Restaurant durch Waldemars subtile Geschmacksmodulationen zu einem Geheimtipp wurde, ließ ich den neuen Mann gewähren und gab ihm die Freiheiten, selbstständig mit seinem Budget umzugehen. Wer hätte das nicht getan in meiner Situation? Muss man denn immer und überall das Grauen fürchten?

Das erste Mal wunderte ich mich beim Coq au vin. Es war gar nicht das Fleisch, sondern der Duft der Soße, der von einer verstörenden Melodie war. Der Coq au vin verschwand seit dem ersten Abend, an dem Waldemar ihn zubereitet hatte, nicht mehr von der Wochenkarte. Als ich nach vierzehn Tagen, – eine Zusatzwoche hatte ich dem Gericht bereits gewährt – den Hahn von der Karte nahm, gab es Proteste unter der Kundschaft, die höflich, aber entschieden forderten, den Coq au vin unbedingt auf der Karte zu belassen. So hatte ich eine Reihe Stammgäste gewonnen, die mindesten einmal pro Woche kamen, um Coq au vin zu essen. Sicher, ich wunderte mich, dass der Besuch einiger Gäste häufiger wurde. Es gab ein älteres Ehepaar, das meist wortlos, beinahe täglich einen Hahn verspeiste. Mein Personal nannte sie nur noch die Coqjunkies. Ich lachte damals noch. Da dass Geschäft ganz außerordentlich gut lief und Waldemar eine souveräne und äußerlich völlig

korrekte Haltung an den Tag legte, hatte ich mich entschlossen, einmal die ewigen Sorgen und Irritationen fahren zu lassen und mich in Süditalien zu erholen. Ein Fehler, einer von vielen, die ich machte.

Waldemar hatte es offensichtlich große Lust bereitet, den Coq au vin geschmacklich in immer absurdere Richtungen zu treiben. Das war mir sofort aufgefallen. Nicht am Geschmack, denn ich selbst hatte aus einer natürlichen Scheu und einem gewissen unbewussten Widerwillen heraus dem Coq entsagt. Nein, es war die Zusammensetzung meiner Gäste, die nur noch aus einem wenig wechselnden, dafür umso häufiger erscheinenden Stammpublikum bestand, wie ich nach meiner Rückkehr aus Italien feststellte. Waldemar hatte sie, das dämmerte mir, in eine Abhängigkeit getrieben. In meinem einst für seine vielseitige, exquisite Küche gelobten Restaurant wurde nur noch Coq au vin gegessen. Nun hielt ich zum einen eine solche Abhängigkeit, da es sich um eine Speise handelte, weder moralisch noch körperlich für eine gefährliche Angelegenheit, zum anderen verdiente ich selbst auch außergewöhnlich gut an meinen Coqjunkies, so dass ich zum Nutznießer, im Grunde muss man sagen, zu Waldemars Komplizen wurde und die Sache wohl auch deshalb einfach zu lange laufen ließ.

Eines Abends, nachdem ein Gast, eine unverheiratete Frau Ende dreißig, besonders energisch nach dem Coq au vin verlangt hatte und von den anderen anwesenden Gästen zu meiner überraschten Beruhigung äußerst verstädnisvoll behandelt worden war, fragte ich Waldemar direkt. »Was zum Teufel mischt du denen ins Essen, Waldemar?«– »Very special ingredient«, sagte Waldemar, »very special, is good, is very good for you« beteuerte er. Ich machte nur eine wegwerfende Handbewegung. Waldemar war wie ein Fisch in der Hand. »I am magician, you know, trick is secret, trick is special secret.« Damals hätte ich eingreifen müssen. Denn als ich abermals den Hahn von der Karte nehmen wollte, war es mehr als Empörung, die mir entgegenschlug. Einige Frauen, es gab eine größere feministische Frauengruppe, die ihre Vereinssitzungen in mein Lokal verlegt hatte, reagierten völlig enthemmt. Die Coqjunkies bedrohten mich offen mit dem Besteck und keiften: »Schreiben Sie, schreiben Sie den Coq wieder auf die Karte«, als ob er dadurch erscheinen würde und nicht aus dieser gottverlassenen Hexenküche käme.

Ich glaube, Waldemar hat selbst die Kraft und Wirkung seines Coq au vin überrascht, was ihn nicht davon abgehalten hat, stets noch weiterzugehen. Der Hahn war mittlerweile für die ungeübte Zunge ungenießbar geworden. Ich hatte nur einmal meinen Finger in die Soße gesteckt und war reichlich angewidert von dieser rosig, weichen Masse, dass ich mir danach ausgiebig die Hände wusch. Für das Geschäft bedeutete all das jedoch nur, dass die meisten Gäste nun fest an mein Etablissement gebunden waren. Waldemar hatte sie in seiner Gewalt und er sagte mir mit unschuldigem Gesicht: »Now you have to raise prices.« – »Wie bitte?« – »Now you have to raise prices, they will pay whatever we demand.« Ach, wie verführerisch ist der Mensch! Ich dachte tatsächlich, warum nicht. Warum nicht ein wenig an der Preisschraube drehen? Es war zu einfach. Sicher, ich bemerkte auch, dass meine Gäste immer freizügiger in ihrem Umgang wurden, und hatte deswegen, um sie und mich vor der Nachbarschaft zu schützen, Sichtblenden an den Fensterscheiben angebracht. Auch für den Zugang zu meinem Lokal wurde ein kräftiger Bekannter Waldemars engagiert, der für seine Dienste fürstlich entlohnt wurde.

Nun war es leider so, dass durch die Preisschraube die finanziellen Kapazitäten meiner Kunden, insbesondere die der Frauengruppe, zunehmend angegriffen waren. Zudem hatten Waldemar und ich unterschätzt, was wir uns da doch für eine immense Maschine gebaut hatten, zumal der Hilfskoch auch die Dosis weiter erhöht hatte.

Es war an einem Montagabend. Ich sehe noch, wie die Gäste auf ihren Stühlen saßen, sich an der Vorspeise – nichts mehr als mit der Soße beschmierte, billige Stullen – labten, die Finger leckten und nach Waldemars Coq au vin lechzten. Das ältere Ehepaar grunzte leise im Hintergrund, als Waldemar auf mich zuging und flüsterte, »no coq today, have no secret ingredient today, no secret, understand, not well.« Ich sah die Angst in Waldemars Augen und mir wurde mulmig. Als ich die Küche verließ und ins Lokal trat, starrten mich die Gäste gierig an. In aller Höflichkeit erklärte ich, dass es mir sehr leid täte, aber der Coq au vin sei ausgegangen, sie müssten mit etwas anderem Vorlieb nehmen, wir hätten ganz hervorragende Schnitzel, was offen gesagt eine Lüge war, wir kauften ja gar nichts anderes mehr, doch ich hatte meinen Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als die Frauengruppe mit einem hohen Schrei, rasend, rächend in die Küche ausschwärmte, auf Waldemar losging, ihn entkleidete, seine Hose herunterzog, ich höre noch eben jetzt sein Schreien, und wie eine Meute Hyänen über ihn herfiel.

Waldemar ist noch heute gezeichnet. Einen Hoden hat er verloren und nur durch das beherzte Eingreifen unseres Türstehers konnte Schlimmeres verhindert werden. Mein Lokal musste ich schließen. Letztlich verdanke ich es den für alle Beteiligten mehr als peinlichen Umständen, von einer Klage verschont geblieben zu sein, so dass ich in relativem Wohlstand lebe und auch Waldemar eine schmale, ich muss sagen, bewusst schmale Rente zukommen lasse.

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