Könnte die Zukunft nicht gegenwärtig sein? Wie und wo? Wenn wir kurz darüber nachdenken, sehen wir sofort, dass die Zukunft immer nur in der Gegenwart und nirgendwo sonst existiert, aber als etwas, das es (noch) nicht gibt.
Die Realität der Zukunft (wie die der Vergangenheit) ist diejenige eines Horizonts der Gegenwart. Im aktuellen Zeitpunkt (der einzige, der existiert und vollständig real ist) projizieren wir rückwärts und vorwärts die Horizonte der Vergangenheit und der Zukunft: das, was wir erinnern, und das, was wir erwarten; die Vergangenheit, die es nicht mehr gibt, und die Zukunft, die noch nicht da ist – die aber beide für den Sinn der Gegenwart unabdingbar sind. Wie alle Horizonte zieht sich die Zukunft in die Ferne, je näher wir uns nähern, indem sie vorwärts rückt und unerreichbar bleibt. Sie bleibt immer nichtgegenwärtig.
Die Zukunft ist nie gegenwärtig, existiert aber nur in der Gegenwart – als ihre Projektion. Wenn wir von der Zukunft reden, reden wir eigentlich immer von der Gegenwart: von ihrer Art, mit den vorhandenen Möglichkeiten umzugehen, von ihrer Offenheit und ihren Einschränkungen. Jede Gegenwart hat ihre Zukunft, von der ausgehend das entwickelt wird, was zu einem späteren Zeitpunkt real ist. Deshalb, wie ich bereits erwähnte, ist der Titel dieses Buches so gelungen: Die Gegenwart der Zukunft ist die einzige Realität der Zukunft, aber dennoch ist die Formulierung informativ – als ob die Zukunft anders sein könnte, als ob sie irgendwo anders wäre.
Diese Ambiguität macht das Thema so faszinierend – weil die Zukunft uns fasziniert, die das Zentrum unserer Aufmerksamkeit und unserer Projekte ist. Die Zukunft ist nicht nur unser Horizont, sondern auch und vor allem unsere Ressource. Man redet seit einigen Jahrhunderten von offener Zukunft, im Sinne eines Raumes für die Verwirklichung unserer Projekte und unserer Hoffnungen: Es ist in der Zukunft und für die Zukunft, dass wir uns engagieren – und manchmal nutzen wir die Zukunft, um gegenwärtige Vorteile zu erzielen. Die Zukunft steht noch nicht fest, deshalb können wir auf sie einwirken. Das war nicht immer so. In älteren Gesellschaften war das Verhältnis zur Zukunft ganz anders. Es galt als plausibel, an eine bereits bestimmte Zukunft zu denken – bestimmt von Gott, vom Schicksal oder von einer anderen Instanz außerhalb unserer Kontrolle –, und unsere Aufgabe in der Gegenwart war, uns an diese bereits entschiedene Zukunft anzupassen, mit begrenzten Möglichkeiten der Initiative und der Bewegung.
Heute wäre die Vorstellung bedrückend, vom Schicksal...
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Der gegenwärtige Blick in die Zukunft scheint vor allem von Resignation und Ängsten geprägt zu sein. Der berechtigte Vorbehalt gegenüber utopischen Zukunftsvisionen und die Krisenhaftigkeit der Gegenwart führen zu nostalgischen Rückbezügen auf scheinbar Bewährtes. Der Band untersucht unser gegenwärtiges Verhältnis zur Zukunft und fragt, welche Wege Künstler_innen und Wissenschaftler_innen heute verfolgen, um neue Handlungsspielräume für die Gestaltung alternativer Zukünfte zu eröffnen. Wie schaffen sie es jenseits modernistischer Idealvorstellungen und romantischer Projektionen in ferne Zeiten, Potentiale für einen Wandel und für eine Imagination möglicher Zukünfte zu gewinnen?