Oswald Wiener: Die Verbesserung von Mitteleuropa,
Roman, Rowohlt: Reinbek b. Hamburg, 1985, Neuausgabe, 205 Seiten
Der Titel ist Programm. Dieses »in der hauptsache von 1962 bis 1967« geschriebene Werk ist nicht nur ein megalomanisch zusammengeclustertes Durchverdauen der bewegenden Theorien der späten 60er Jahre (Linguistik, Kybernetik, Systemtheorie, Psychoanalyse), wie auch das Vermächtnis einer radikalen intellektuellen Avantgarde im Moment ihrer engsten Koalition mit dem Pop.
Neben den »kernstücken zu einer experimentellen vergangenheit« sind die »notizen zum konzept des bio-adapters, essay« der einflussreichste Teil dieses radikal antinarrativen Romans. Entworfen wird das Konzept des bio-adapters, einem »glücks-anzug«, der den Mensch vollständig umhüllt und alle leiblichen wie seelischen Zustände simuliert und sukzessive verbessert. Im letzten Schritt des Prozesses der Assimilation ersetzt der Apparat das Nervensystem des Eingeschlossenen und verschmilzt mit diesem. Aus dem Mensch-Maschine Interface wird eine selbstgenerierende Wunscherfüllungsmaschine. Das ist Cyberspace avant la lettre. Oder, um mit Wiener zu sprechen: Kybernetik für alle.
Mitteleuropa, dieses während das kalten Krieges von zwei sich gegenseitig verzehrenden Ideologien umschlossene Gebiet war die ideale Geburtsstädte dieses Apparats, der den Menschen unabhängig von jeglichem Materialismus zum Glück verhelfen soll. Nicht von ungefähr regieren nun, nach Zusammenbruch dieses anderen Apparats ideologischer Zurichtung, in Mitteleuropa neofaschistische Strömungen. Mein Exemplar dieser als Roman getarnten Sammlung von delirierender Prosa, theoretischen Überlegungen, Sprachspielen, großartiger Konkreter Poesie und auch totalem neodadaistischem Quatsch ist schon recht vergilbt, die Ausgabe ist, wiewohl schön gestaltet, auf miserables Papier gedruckt.
Oswald Wiener war auch ein begnadeter Aphoristiker, das letzte Wort geht an ihn: mein ideal: ich schreibe für die kommenden klugscheisser; um das milieu dieser zeit komplett zu machen.
The Three Marias: New Portuguese Letters
by Maria Isabel Barreno, Maria Teresa Horta and Maria Velha da Costa
Translated by Helen R. Lane
The Three Marias is a highly interesting work of feminist literature, although it’s now largely forgotten outside of its native Portugal. In the early 70s, while the country was still a fascist dictatorship, three brave and clever women, all named Maria, started a literary collaboration. Taking their cue from the 17th century epistolary classic “Letters of a Portuguese Nun”, attributed to the Franciscan nun Mariana Alcoforado, they started exchanging written exercises in various forms which eventually became this book. It’s a heterogeneous collection of unanimous poems, short stories, letters and tracts—a community of different texts, centred on the theme of passion and emphasizing women’s experience, materiality and corporeality.
The motif of the three ominous women is of course familiar to the male imagination as it manifests in world literature, from the norns in Nordic mythology to the witches in Macbeth. To no one’s surprise, the fervently patriarchal, catholic regime didn’t appreciate that these three subversives were stirring their cauldron. They were arrested on charges of obscenity, interrogated and allegedly tortured by the secret police. The book was confiscated and its first edition destroyed in an affair that quickly became an international cause célèbre. A couple of years later, when the Carnation Revolution broke out in April 1974 and swept away the fascists, the case against the Three Marias was immediately dropped. Regardless of its literary merit, this work’s value as a historical document is undeniable.
spot, casopis za fotografiju, Nr. 4, 1974,
Galerija Grada Zagreba: Zagreb 1974, 48 Seiten
In Jugoslawien wurde viel publiziert und wenig weggeworfen. So hatte man die Möglichkeit, in staatlichen Galerien und Museen Ausstellungskataloge und Kunstzeitschriften für Pfennige zu schießen. Einen besonderen Platz in meinem Regal nimmt »spot«, die vierte Ausgabe einer Zeitschrift für Fotografie aus dem Jahre 1974, ein. Das Magazin ist eine wahre Wundertüte. Neben Artikeln über den konzeptuellen Gebrauch von Fotografie im Werk John Baldessaris gibt es ein Interview mit Leslie Crimson und einen Artikel über polnische Fotografie in den 60ern. Das Beste im Heft sind allerdings die Beispiele für damalige Werbegrafik. Jugoslawen durften bekanntlich reisen und haben viel an europäischen Unis gelernt. Die Künstler schwankten schwindelfrei zwischen internationalem Style und Brutalismus. Vom Bauhaus waren vor allem die sozialistischen Ideen übriggeblieben. Und so eignete sich das Heft wunderbar für das Erstellen von DIN-A4-Plakaten. Ich studierte damals Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und benutzte viele der Fotos für die Ankündigung meiner damaligen Theatergruppe Batterie:Kongress. Die Bilder kombinierte ich immer mit einem Ankündigungstext, den ich mit der mechanischen Schreibmaschine von Triumph-Adler tippte. Daraus ergaben sich Flyer in gesättigtem Schwarz-Weiß. In irgendeinem Umzugskarton müssen noch die gebrauchten Korrekturbänder der Schreibmaschine liegen. Die habe ich gesammelt. Im digitalen Zeitalter werden Fehler und Versuche immer gelöscht. Was von damals übrig blieb, ist die utopische Version des Vielvölkerstaates Jugoslawien und meine aufgerollten Tippfehler in Kisten. Beides keine Irrtümer der Geschichte, sondern große Kunst.