Georges Perec: Betrachtungen über die Brillen
Betrachtungen über die Brillen
(p. 125 – 140)

Perec par excellence – für Anfänger und Fortgeschrittene

Georges Perec

Betrachtungen über die Brillen

in: Denken/Ordnen, p. 125 – 140

Über die Schwierigkeit, im Allgemeinen und insbesondere in meinem Fall über Brillen zu reden. Über Brillen zu schwadronieren scheint auf den ersten Blick, wenn ich einmal so sagen darf, ein trockenes und prosaisches Thema, wenig geeignet, Begeisterung und Überschwang hervorzurufen. Als es einst hieß, durch das Aufkommen dieser gewölbten Linsen habe die Menschheit einen Riesenschritt nach vorne getan, weil es jenen, die nicht gut sahen, endlich die Möglichkeit gab, besser zu sehen oder nicht mehr ganz so schlecht, da schien es, als hätte man nun alles oder fast alles gesagt, um anschließend mit leichter Feder das sagenhafte Schicksal jener zu beschwören, die ohne Brille vielleicht nicht das geworden wären, was sie waren, von Leo X. bis Goya, von Chardin bis Theodore Roosevelt, von Toulouse-Lautrec bis Gustav Mahler und von Émile Littré bis Harold Lloyd.


Andererseits, und dieser zweite Punkt ist sicherlich wichtiger als der erste, könnte es sehr gut möglich sein, dass dies ein Thema ist, dem gegenüber ich mich eigentlich für unzuständig und unzulänglich erklären müsste. Weil ich bis zum heutigen Tage im Genuss einer guten, wenn nicht sogar einer wirklich scharfen Sicht gewesen bin, habe ich in der Tat nie eine Brille getragen, so dass folglich meine Erfahrung auf diesem Gebiet äußerst gering, um nicht zu sagen gleich Null ist. Sicherlich haben zahllose Denker und Philosophen aufs großartigste Dinge erörtert und behandelt, von denen sie, zu Anfang wenigstens, keinen blassen Schimmer hatten, doch von einem Menschen, der nie eine Brille auf der Nase gehabt hat, ein Referat über Brillen zu verlangen, scheint mir immerhin, zu
 Anfang jedenfalls, ebenso problematisch wie von einem ­Menschen, der nie in China gewesen ist, eine Beschreibung Chinas zu verlangen, von einem Autobusfahrer seinen Eindruck über Dreiräder oder über die Rennwagen der Formel 1 oder von einem Vegetarier das Zelebrieren des Entrecôte, obgleich gerade dieses Beispiel schlecht gewählt ist, denn es könnte durchaus sein, dass der Vegetarier rotes Fleisch verabscheut, während ich persönlich nichts gegen Brillen habe.


Über die innere Ausgeglichenheit, die ich dennoch empfinde, wenn ich ein solches Thema angehe. Nachdem dies klargestellt ist, unterbreite ich gleichwohl dem Leser die nun folgenden Betrachtungen mit einem tröstlichen Gefühl. Ein Brillenträger wäre versucht, alles auf sich persönlich zu beziehen, würde sich ereifern, vom Thema abkommen, sich in müßigen Abschweifungen und unpassenden Erläuterungen verlieren, würde den Ursprung all seiner Übel und all seines Glücks auf die ­inadäquate Krümmung der Hornhaut oder der Linse seiner Augen beziehen...

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Georges Perec

Georges Perec

fut l'un plus importants représentants de la littérature française d'après-guerre. Fils d'un Juif polonais, Perec est encore un enfant quand l'armée allemande envahit la France. Son père, engagé volontaire dans l'armée française, meurt en 1940. Sa mère est déportée à Auschwitz en 1943, où l'on suppose qu'elle fut assassinée. Peu avant son arrestation, elle parvient à envoyer son fils en zone libre en le mettant dans un train de la Croix rouge, et lui permet ainsi d'échapper à la mort. Perec regagne Paris en 1945, où une de ses tantes l'adopte. Il entame des études d'histoire et de sociologie qu'il abandonnera rapidement, puis publie des articles dans la Nouvelle Revue française et Les Lettres nouvelles. De 1958 à 1959, il fait son service militaire dans un régiment de parachutistes à Pau.
Il épouse Paulette Petras en 1959 et occupe un poste de documentaliste à l'hôpital Saint-Antoine et au CNRS. En 1967, il entre à l'Oulipo, groupe de littérateurs et mathématiciens fondé par Raymond Queneau, dont le nom est l'acronyme de « Ouvroir de littérature potentielle ». Les écrivains membres de l'Oulipo, issus du Collège de 'Pataphysique, des cercles surréalistes et du Collectif Nicolas Bourbaki, se caractérisent par le fait qu'ils s'imposent certaines contraintes littéraires ou mathématiques pour la réalisation de leurs œuvres, comme par exemple de ne pas utiliser certaines lettres de l'alphabet : ainsi le texte La Disparition est-il composé sans le moindre « E ». Dans les années 1970, Perec se lance avec succès dans la réalisation de films. Il décède peu avant son 46e anniversaire d'un cancer des poumons.

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Georges Perec

Denken/Ordnen

Traduit par Eugen Helmlé

broché, 168 pages

ePub

In »Denken/Ordnen«, seinem letzten Buch, forscht Georges Perec den kleinen Privat-Bürokratien nach, die jeder Einzelne entwickelt, um die Dinge der Welt zu versammeln, zu zerlegen und zum Verschwinden zu bringen: Anleitungen, Übungen, Listen, Methoden; seitenweise Kochrezepte (aber nur für Seezunge, Kalbsbries und Kaninchen!), verschiedene Arten, ein Bücherregal zu ordnen; Überlegungen über die Unmöglichkeit des Aufräumens und über die verschiedenen Arten körperlichen Aufenthalts beim Lesen (auf der Toilette, auf Reisen, beim Essen, im Bett …) – und nicht zuletzt einige Seiten wunderbare Betrachtungen über Brillen, die für jeden, der selbst davon betroffen ist, fortan unerlässlich sein werden. Und das alles ist, wie stets bei Perec, nicht nur ungeheuer anregend, sondern zutiefst komisch und traurig zugleich.