Georges Perec: Traum und Text
Traum und Text
(p. 63 – 66)

Fragmente einer nächtlichen Biographie

Georges Perec

Traum und Text

Traduit par Eugen Helmlé

in: Geboren 1936, p. 63 – 66

Mehrere Jahre hindurch habe ich meine Träume aufgeschrieben. Diese Schreibübungen waren zuerst sporadisch, dann nahmen sie immer mehr überhand: 1968 notierte ich fünf Träume, 1969 sieben, 1970 fünfundzwanzig, 1971 sechzig!

Ich weiß nicht mehr genau, was ich mir anfangs von einem solchen Experiment versprochen habe: irgendwie schien es mir, als gehörte das indirekt zu einem bereits vor einiger Zeit begonnenen autobiographischen Projekt, bei dem ich meine eigene Geschichte einzukreisen versuchte, jedoch nicht so, dass ich sie in der ersten Person Einzahl erzählte, sondern auf dem Weg über thematisch organisierte Erinnerungen: zum Beispiel Erinnerungen an Orte, mitsamt ihren Veränderungen, an denen ich einmal gewohnt habe, Aufzählung von Zimmern, in denen ich geschlafen habe, Geschichte der Gegenstände, die auf meinem Schreibtisch stehen oder gestanden haben, Geschichte meiner Katzen und ihrer Nachkommenschaft usw., als ob meine Traumberichte neben diesen fragmentarischen, aus Grenzbereichen stammenden Autobiographien das hätten ausmachen können, was ich damals eine nächtliche Biographie nannte.

Später, im Mai 1971, begann ich eine Psychoanalyse, und mir kam es nun so vor, als ob dieses Fieber der Traumnotierungen das Vorzeichen, der Anfang, der Vorwand zu dieser Analyse gewesen wäre. Sicherlich erwartete ich, wie jeder, dass diese Träume etwas von mir erzählen, mich erklären und mich vielleicht sogar verändern. Doch mein Psychoanalytiker zog diese Traumberichte nicht in Erwägung: sie waren allzu sorgfältig verpackt, allzu poliert, allzu sehr ins Reine geschrieben, alles klar, selbst noch in ihrer Fremdheit, und ich habe den Eindruck, heute sagen zu können, dass meine Analyse erst in dem Augenblick begann, als es mir gelang, diese Traum-Panzer aus ihr zu entfernen.

Ich werde also nicht vom Inhalt meiner Träume sprechen; wenn sie eines Tages entzifferbar geworden sind, dann in dem Augenblick, als sie stammelnde Rede, lange gesuchte Wörter, Zögern, beklemmende Empfindungen werden konnten, und nicht mehr allzu geleckte Sätze, allzu gut betonte Texte waren, bei denen nie Titel oder Datum fehlte.

Mein Experiment als Träumer wurde also zwangsläufig zum reinen Schreibexperiment: weder Offenbarung von Symbolen noch Dahinströmen von Bedeutungen oder Erhellung der Wahrheit (obgleich ich den Eindruck habe, dass sehr tief unter diesen Texten ein zurückgelegter Weg beschrieben wird, ein tastendes Suchen), sondern Rausch eines In-Worte-Fassens, Faszination eines Textes, der sich ganz von allein zu produzieren schien: außer bei den seltenen Gelegenheiten, wo ich beim Erwachen einige im Halbschlaf hingekritzelte Worte vorfand, aus denen nichts hervorging, tauchte der ganze und intakt gebliebene Traum aus einer Einzelheit oder einem Wort genau in dem...

  • autobiographie

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Georges Perec

Georges Perec

fut l'un plus importants représentants de la littérature française d'après-guerre. Fils d'un Juif polonais, Perec est encore un enfant quand l'armée allemande envahit la France. Son père, engagé volontaire dans l'armée française, meurt en 1940. Sa mère est déportée à Auschwitz en 1943, où l'on suppose qu'elle fut assassinée. Peu avant son arrestation, elle parvient à envoyer son fils en zone libre en le mettant dans un train de la Croix rouge, et lui permet ainsi d'échapper à la mort. Perec regagne Paris en 1945, où une de ses tantes l'adopte. Il entame des études d'histoire et de sociologie qu'il abandonnera rapidement, puis publie des articles dans la Nouvelle Revue française et Les Lettres nouvelles. De 1958 à 1959, il fait son service militaire dans un régiment de parachutistes à Pau.
Il épouse Paulette Petras en 1959 et occupe un poste de documentaliste à l'hôpital Saint-Antoine et au CNRS. En 1967, il entre à l'Oulipo, groupe de littérateurs et mathématiciens fondé par Raymond Queneau, dont le nom est l'acronyme de « Ouvroir de littérature potentielle ». Les écrivains membres de l'Oulipo, issus du Collège de 'Pataphysique, des cercles surréalistes et du Collectif Nicolas Bourbaki, se caractérisent par le fait qu'ils s'imposent certaines contraintes littéraires ou mathématiques pour la réalisation de leurs œuvres, comme par exemple de ne pas utiliser certaines lettres de l'alphabet : ainsi le texte La Disparition est-il composé sans le moindre « E ». Dans les années 1970, Perec se lance avec succès dans la réalisation de films. Il décède peu avant son 46e anniversaire d'un cancer des poumons.

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Traduit par Eugen Helmlé

broché, 96 pages

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Dass das Autobiographische als Schlüssel zu Perecs gesamtem Werk zu lesen ist, zeigt dieser Band. Er umfasst zehn autobiographische Versatzstücke aus den Jahren 1959 bis 1981 – von den Umständen der eigenen Geburt (»Ich bin geboren«) über eine Skizze zur Gedächtnisarbeit oder eine Vorfassung seines Ellis-Island-Projekts bis hin zur Aufzählung »einiger Dinge, die ich wirklich noch machen müsste, bevor ich sterbe«. Sie sind Teil eines unvollendeten Komplexes, von dem Perec nur »W oder die Kindheitserinnerung« abgeschlossen hat und in dem er gänzlich neue autobiographische Strategien erproben wollte: im besessenen Sammeln von Mikroerinnerungen, im Verschlüsseln von Gedächtnismomenten, die verborgen bleiben sollen – oder als ein Fallschirmspringer, der sich kopfüber in die Erkundung der eigenen Identität stürzt.