James Elkins: Das Ende des Schreibens über Kunst
Das Ende des Schreibens über Kunst
(p. 71 – 80)

Ruedi Widmer im Gespräch mit James Elkins

James Elkins

Das Ende des Schreibens über Kunst

Traduit par Ruedi Widmer

PDF, 10 pages

Ausgehend zum einen von der Orthodoxie eines klassisch geprägten – d.h. nordatlantischen – Schreibens der Kunstgeschichte, zum anderen von einer massiv produziert und massiv ignorierten Kunstkritik, wird der Blick auf die Möglichkeiten eines konsequent subjektiven und experimentellen Schreibens über Kunst gerichtet. Sichtbar werden dabei Grundwasserströme, welche die Grenzen zwischen den Territorien seit jeher unterspülen; Träume von unentdeckten Kontinenten; und die schwierige Frage, ob man sich selber wiederholen oder widersprechen will.

Ruedi Widmer Eines Ihrer Themenfelder ist »Das Ende des Schreibens über Kunst«. Was verbirgt sich hinter diesem Titel?


James Elkins Es handelt sich um ein Kapitel in einer aus zwei Seminaren bestehenden Lehrveranstaltung. Das erste Seminar heißt »Ex­perimentelles Schreiben über Kunst«, das zweite »Schreiben mit ­Bildern«. Die Idee basiert darauf, dass akademische Disziplinen wie Kunstgeschichte, Kunsttheorie, Ästhetik und Kritik1 kein Vokabular entwickelt haben, welches für das Schreiben über Kunst interessant oder auch nur brauchbar wäre. Wir begannen vor einigen Wochen im Zentrum dessen, was als kanonische Kunstgeschichte gilt. Dann verließen wir dieses Feld in Richtung kunsthistorischer Texte, die als experimentell gelten, wie etwa diejenigen von T.J. Clark. Auch Texte von Leo Steinberg und Aby Warburg werden wir lesen. Dann kommt der nächste Kreis mit Texten, die in der Kunstgeschichte nicht unbedingt akzeptiert sind. Wir lesen Texte von Hélène Cixous, und viele andere französische Autoren würden hier – interessanterweise – in Frage kommen. Dazu kommen Texte von Autoren, die im Kontext der Kunstgeschichte rezipiert werden, aber nicht Kunsthistoriker sind, wie etwa Jacques Derridas »De la vérité en peinture«. Dann geht es weiter mit Texten wie beispielsweise Raymond Roussels »Nouvelles impressions d’Afrique«, die Bilder umfließen, ohne dass das eine explizit auf das andere verweist. Das Hauptziel des Kurses besteht darin, den Studierenden aufzuzeigen, dass es außerhalb der disziplinären Kunstgeschichte ein großes, unglaublich reichhaltiges und noch kaum exploriertes Feld der kritischen Auseinandersetzung mit Kunst gibt.


Ruedi Widmer Die Kunstkritik ist für Sie ein sehr weiter Begriff.


James Elkins Ich bin oft in Schwierigkeiten geraten, wenn ich behauptete, dass es sich auch bei ein paar wenigen Zeilen in einer Zeitung um Kritik handelt. Doch wenn ich soeben von »kritischer Auseinandersetzung« sprach, meinte ich vor allem Kritik als Literatur fiktionaler oder kreativ-nichtfiktionaler Art. Sie enthält auch die kritische Selbstverortung (ich denke an Adorno, Derrida, De Man, Lentricchia, Marjorie Perloff, Charles Altieri und viele andere). Diese Teildomäne der Kritik hat, was wohl niemand bestreiten würde, eine hohe Wichtigkeit. 


Ruedi Widmer Verstehen Ihre Studierenden, wenn sie schreiben, unter »experimenteller« oder »kritischer Literatur« das gleiche wie Sie?


James Elkins Wir führen dazu interessante Diskussionen. Zur experimentellen Literatur gehört für mich das, was ich »fesselndes« Schreiben nenne: Etwas, was nicht vorhersehbar ist, was mich zum Lesen und zum Weiterdenken zwingt. Ich glaube, dass solche Literatur ihre Ansatzpunkte in einer Gegenbewegung zu gewissen Konventionen entwickelt. Mit Blick auf die Orte im Web, wo, sagen wir, in ungewöhnlicher Weise geschrieben wird, resultiert dann die Frage: Worauf bezieht sich...

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Ruedi Widmer (éd.): Laienherrschaft

Ruedi Widmer (éd.)

Laienherrschaft
18 Exkurse zum Verhältnis von Künsten und Medien

broché, 320 pages

Inkl. Mit Zeichnungen von Yves Netzhammer

PDF, 320 pages

Die vielfach geforderte Freiheit des Einzelnen, Kunst nach eigenem Gutdünken zu rezipieren, zu genießen, aber auch zu produzieren und damit zu definieren, ist heute weithin Realität geworden. Wir leben im Zeitalter der Laienherrschaft in den Künsten und den mit ihnen verbundenen Medien: einem Regime, das auf der Dynamik der Massen-Individualisierung und dem Kontrollverlust etablierter Autoritäten beruht, in dem jede Geltung relativ ist und die Demokratisierung in ihrer ganzen Ambivalenz zum Tragen kommt.

Die Essays und Interviews des Bandes kreisen um die Figur des Kulturpublizisten. Wie wirken Ökonomisierung und Digitalisierung auf sein Selbstverständnis ein? Wie sieht es mit der gegenwärtigen Rollenverteilung zwischen Publizist und Künstler aus? Wie verhält sich der Publizist gegenüber dem immer eigenmächtiger auftretenden Rezipienten? Der zeitgenössische Kulturpublizist tritt als Diskursproduzent und als Weitererzähler flüchtiger Wahrnehmung auf; doch auch als Interpret, der als Leser und in diesem Sinne als »Laie« seine Stimme entwickelt – jenseits aller Reinheits- und Absicherungsgebote, die etwa die Wissenschaft aufstellt. Eine Kultur des Interpretierens als eine von der Laienperspektive her gedachte Kultur der Subjektivität, der Aufmerksamkeit, der Sprache und der Auseinandersetzung mit den Künsten ist in Zeiten der Digitalisierung eine unschätzbar wertvolle, omnipräsente und zugleich bedrohte Ressource.

Mit Zeichnungen von Yves Netzhammer.

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