Der Medienkünstler, der in der Techno-Euphorie der 80er Jahre das Licht der Welt erblickte, kann als Episode der Kunst- und Mediengeschichte betrachtet werden. Reicher an Schichten und an historischen Entwicklungen ist die Geschichte des Künstlers und der Kunst als Produktion und Konstruktion im Echoraum der Öffentlichkeit. Seit der Epoche der Medici gewinnt dieser Echoraum, noch bevor er sich als Wirkungsfeld der Massenmedien recht eigentlich herauskristallisiert, an direkter oder indirekter Bedeutung für die Kunst. So waren Künstler wie Duchamp oder Warhol »Medienkünstler« in einem starken, wenn auch spezifischen Sinn des Wortes. Durch einen strategischen Umgang mit dem Künstlerheldentum, dem Werkbegriff und der Gegenläufigkeit von Profanisierung und Heiligung, legten sie Schreib- und Lese-Spuren, die bis heute relevant sind.
Ein reizvolles und verfängliches, verführerisches und irreführendes Stichwort zugleich. Fragen wir unverzüglich: Handelt es sich um einen Ehrentitel gegenwärtigen, unbeirrt fortschreitenden Kunstschaffens? Oder gar um eine neue Berufsbezeichnung? Wird darüber gestritten, wird er verspottet, der neue Künstler, oder nicht doch, im Gegenteil, verehrt, weil in ihm der techno-imaginär erweiterte Alchemist sich erneut aufschwingt zu den Gipfeln bemühter wie umfassender, weil digital modellierter Weltschöpfung? Gilt uns dieser Künstler als kundiger Navigator für diejenige Umgestaltung der Welt, die den Menschen die entfremdeten und enteigneten Mächte der apparativ verfestigten Technik zurückbringt, um die unbeherrschbar gewordene, verschleierte Natur wieder lesbar und für menschliches Handeln zugänglich zu machen?
Steht es in der Macht oder auch Pflicht der Kunst, mit der Ohnmacht des »Humanen« zu brechen und die Handhabung der Apparate und Technologien in die Gesellschaft und letztlich – welch eine pathetische Figur – in die Geschichtsmächtigkeit des Menschen zurückzubringen, um die »großen Erzählungen« um Freiheit und Vernunft wieder in Gang zu bringen? Ist solcher Künstler also der wahre kundige Utopie-Führer, der lehrt, die blinden Mächte einer erneut zur Natur geronnenen, undurchschaubar gewordenen Herrschaft als Faktoren, Sedimente, Objekte menschlicher Praxis zu entziffern, zu entmystifizieren und damit die verstellte Geschichte wieder zugänglich, veränderbar, gestaltbar zu machen?
Wäre dies, zuletzt, nicht gar ein leuchtender Ausweg aus einer hoffnungslos nivellierten Welt, ein Ausweg, der ermöglicht, die globalisierte und standardisierte Medien-Kommunikation, einen internationalen Konsumismus zu verlassen, der die Menschen den Dispositionen und Planungs-Apparaten des Staates und der Wirtschaft unterwirft, ihren Sicherungsagenten und der vorgreifenden Versorgung eines betreuten Lebens in der techno-apparativ dominierten und eventtechnisch abgefederten Welt von heute?
Unter solch naivem Utopismusverdacht steht die Figur des Medienkünstlers, wie er – unter diesem mittlerweile reichlich strapazierten Namen – vor einigen wenigen Jahrzehnten in idealisierter oder idealisierender Weise auf den Plan trat, auch und gerade in Ausbildungen an Hochschulen und deren PR-Prosa. Davon zu unterscheiden sind und bleiben die rhetorisch und ironisch eingesetzten Erlöser- oder Erlösungsfiguren von wichtigen meta-medial operierenden Künstlern wie Marcel Duchamp oder Andy Warhol. Ihre zergliedernde Arbeit machte tiefer liegende Codes zugänglich. Zu diesen gehörte aber eine medienstrategische oder allgemein ästhetische Erlösung der Menschheit keinesfalls.
Hier soll annäherungsweise untersucht werden, welche Vorformen des »Medien-Künstlers« in weiter zurückliegenden Epochen auszumachen sind, welche Positionen ihn im 20. Jahrhundert definieren und wohin er sich gegenwärtig entwickelt. Meine These, die im Hintergrund mein Erkenntnisinteresse und sein Regulativ grundiert, ist für das folgende: Das Techno-Imaginäre, zu dem neben digitalen Apparaten und globalen Kommunikationstechnologien auch »Medienkunst« und »Medien-Künstler« gehören, hängt von viel größeren,...
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Laienherrschaft
18 Exkurse zum Verhältnis von Künsten und Medien
broché, 320 pages
Inkl. Mit Zeichnungen von Yves Netzhammer
PDF, 320 pages
Die vielfach geforderte Freiheit des Einzelnen, Kunst nach eigenem Gutdünken zu rezipieren, zu genießen, aber auch zu produzieren und damit zu definieren, ist heute weithin Realität geworden. Wir leben im Zeitalter der Laienherrschaft in den Künsten und den mit ihnen verbundenen Medien: einem Regime, das auf der Dynamik der Massen-Individualisierung und dem Kontrollverlust etablierter Autoritäten beruht, in dem jede Geltung relativ ist und die Demokratisierung in ihrer ganzen Ambivalenz zum Tragen kommt.
Die Essays und Interviews des Bandes kreisen um die Figur des Kulturpublizisten. Wie wirken Ökonomisierung und Digitalisierung auf sein Selbstverständnis ein? Wie sieht es mit der gegenwärtigen Rollenverteilung zwischen Publizist und Künstler aus? Wie verhält sich der Publizist gegenüber dem immer eigenmächtiger auftretenden Rezipienten? Der zeitgenössische Kulturpublizist tritt als Diskursproduzent und als Weitererzähler flüchtiger Wahrnehmung auf; doch auch als Interpret, der als Leser und in diesem Sinne als »Laie« seine Stimme entwickelt – jenseits aller Reinheits- und Absicherungsgebote, die etwa die Wissenschaft aufstellt. Eine Kultur des Interpretierens als eine von der Laienperspektive her gedachte Kultur der Subjektivität, der Aufmerksamkeit, der Sprache und der Auseinandersetzung mit den Künsten ist in Zeiten der Digitalisierung eine unschätzbar wertvolle, omnipräsente und zugleich bedrohte Ressource.
Mit Zeichnungen von Yves Netzhammer.