Elisabeth von Samsonow: Zum Spielzeugstatus zeitgenössischer Apparate
Zum Spielzeugstatus zeitgenössischer Apparate
(p. 159 – 171)

Die Zeit ist reif für das Kinderspiel

Elisabeth von Samsonow

Zum Spielzeugstatus zeitgenössischer Apparate

PDF, 13 pages

Der Status von Werkzeugen und Instrumenten hat sich im Laufe der Zeit ganz grundlegend verändert, was man mit dem Begriffe einer zweiten Natur, einer zweiten Evolution, und nicht zuletzt mit Ideen wie der des technischen Fortschrittes, der offenbar als unausgesetzte Bewegung vorgestellt wird, zu erfassen versucht. Meine These ist nun die, dass zeitgenössische Apparateklassen, deren Gebrauch massenhaft und häufig ist, weniger als Instrumente im post-aristotelischen, kulturphilosophischen Sinne zu sehen sind als vielmehr als Spielzeuge. Gegen die Annahme, dass es sich in der Herstellung von Instrumenten, Apparaten usf. um einen sich fortwährend aufstufenden Prozess handelt, der metaphorisch als ein Beweis des stets fortschreitenden Erwachsenwerdens der Menschheit gelten darf, werde ich auf mehreren Ebenen arbeiten, indem ich dem Progress den Regress und der Evolution die Involution entgegenstelle. Ich bin in meinen Annahmen übrigens prominent unterstützt, wie ich anmerken darf. Einige Denker, die man leicht als Zeugen der technologischen Evolutionsidee anführen würde, sind bei genauerer Lektüre nämlich eher Propagandisten einer unheilbaren menschlichen Infantilität, was meinen Absichten durchaus entgegenkommt. Die Techno-Theoretiker lassen sich leicht in zwei Lager einteilen, nämlich einerseits in dasjenige, das ein Motiv des technologischen inventiven Drives in der menschlichen Überlegenheit und in seiner unheimlichen Schlauheit sieht, und in das andere, in welchem von menschlichen Defekten in vielerlei Hinsicht die Rede ist, welche letztere Defekttheorie dann logisch in eine Technophilosophie des selbstverschuldeten Unheils mündet. Die Vorstellung, dass Menschen auf Grund ihrer geistigen Ausstattung – die natürlich eine Form der Überlegenheit, nicht nur der Kompensation ist – Technologen sind, führt eher zu gnostischen Einstellungen der Art, dass die Spaltung zwischen Natur und Kultur tief und irreversibel wird. Einige Denker – vor allem solche, die unter dem Eindruck des Biologismus des späten neunzehnten Jahrhunderts stehen – kombinieren im Übrigen die beiden Motive, wie etwa auch Arnold Gehlen das zusammenfassend in seiner großen Untersuchung Der Mensch tut.

In den letzten Jahrzehnten ist vor allem durch den Druck einer zwingenden ökologischen Revision die Natur/Kultur-Schranke aus verschiedensten Perspektiven ins Visier genommen worden, wobei die leitende Frage sich auf die Mittel ihrer Einebnung richtet. Das Problem in diesem Projekt war in jedem Fall die Konzeption der Natur, die man sich als endgültig durch die Kultur überschrieben und zugleich verloren vorgestellt hat. Die Ausrichtung der Kulturwissenschaften in ihren vielerlei Spielarten der letzten dreißig Jahre hat den Naturbegriff als primitiv und »biologistisch« (!) abgewehrt, was eine differenzierte Natur-Debatte nachgerade behindert hat. In gewisser Weise lässt sich zusammenfassend sagen, dass die Kulturwissenschaften sich ihr Grab in Hinblick auf die Unfähigkeit, über die Natur zu reden, selbst geschaufelt haben. Sie erscheinen selbst als Nachzügler in einer Debatte, die sie nicht müde werden, zu fordern. Dabei hätte die extreme Zuschreibung von Fähigkeiten poietischer und autopoietischer Art an die Natur seitens der Naturwissenschaften des zwanzigsten Jahrhunderts die Verbindung zur stolzen Philosophie mehr als nahegelegt, die sich nicht von ihrer Meinung abbringen ließ, sie sei aus der Natur hinauskomplimentiert und nur in der Kultur »zu Hause«. Von den negativen Konsequenzen dieser allzu langen und eigentlich kontraproduktiven Haltung ist die heutige Diskussion gezeichnet, die sich als durch die Ereignisse klar überfordert präsentiert.

Not tut also ein Weiterdenken an denjenigen Ansätzen, die seit der Renaissance eine geradezu monströse Natur-Idee kolportiert haben – also am Pantheismus Giordano Brunos, am Spinozismus oder an den Erd-Ideen von Athanasius Kircher. Wenigstens hatten diese Ansätze den Vorteil, sich nicht durch die Idee eines pseudo-egoistischen Sich-Einrichtens in einer Menschenwelt verführen zu lassen – dies eine Version der Subjekt/Objekt-Opposition –, auch wenn, das soll ja nun nicht verschwiegen werden, sich unlösbare Probleme im Durchdenken dieser holistischen Thesen eingestellt haben. Merkwürdigerweise ist die philosophische Logik träge, Rückfälle sind an der Tagesordnung. Nun hätte aber ein Ansatz wie derjenige Brunos beispielsweise den Vorteil besessen, ein Konzept eingeführt zu haben, in welchem »Welt« das Menschliche so einschließt, dass er trotz Intellekt und Reflexion nicht aus ihr herausfallen kann. Genau an diesem Punkt möchte ich dann meine These anschließen, die zunächst einmal das Thema der Existenz – welche das Wort für dieses gewisse Herausragen oder sogar Herausfallen aus der Natur wäre – durch das der Insistenz oder eines gewissen In-Seins ersetzt. Daraus folgt dann alles Weitere, das von der immerhin äußerst produktiven feministischen Theorie der siebziger Jahre ansatzweise eingeführt, aber nicht zu Ende gedacht worden war.

Nach einem kursorischen Durchgang durch wenige wichtige Positionen der Technikphilosophie möchte ich daher in pointierten Thesen meinen Ansatz zu einer zeitgenössischen Technikdefinition vorstellen, der daraufhin angelegt ist, das Natur/Kultur-Binom in sich zusammenfallen zu lassen. Vorausgesetzt wird allerdings, dass man der Idee, die zeitgenössischen Apparate und Geräte seien vielmehr Spielzeuge als Werkzeuge, etwas abgewinnen kann. Und ferner der Vorstellung, dass die Produktion von funktionierenden Körpern (Apparaten) in ihrer poetischen Bedeutung Allegorie von Leben ist.

Die Werkzeuge des Aristoteles / der Begriff des organon –
und seine ungebrochene Karriere

Die aristotelische Auffassung des menschlichen Werkzeuggebrauches ist aus zweierlei Gründen interessant: erstens ist sie vollständig eingebettet in eine allgemeine naturphilosophische Vorstellung der leiblichen Ergänzung, so dass menschlicher Werkzeuggebrauch und selbst Einsatz bestimmter hervorragender Ausstattungen organischer Natur bei den Tieren ähnlich gedacht werden.1 Das geht sogar so weit, dass Aristoteles sich alle Mühe gibt, sich Menschen als fremdartige, ihm zunächst auch vollkommen neue Tiere zu imaginieren, die er aus demselben künstlich fremd gemachten Blickwinkel betrachtet wie alle anderen auch. Nachdem das hervorstechende Merkmal der Natur in allgemeiner Hinsicht, d.h. als ontologische Bestimmung, der Zweck oder das Ziel ist, also eine universale Teleologie am Werke ist, fallen menschlicher Werkzeuggebrauch und Einsatz oder selbst Züchtung gewisser Organe logisch unter dieselbe Kategorie. Im Rahmen einer solchen Lehre kann selbst der Umstand, dass Menschen Vernunft haben, noch so erscheinen, als wäre die Vernunft eines der zweckdienlichen Instrumente dieses seltsamen Tiers. Diese Auffassung ist insofern brauchbar, als sie die Opposition zwischen Menschen und Tieren bzw. dem Rest der natürlichen Welt nicht so hoch ansetzt, ja in Wirklichkeit nicht einmal zu einer Differenz zwischen Naturgeschichte und menschlicher Historie gelangt.

Zweitens ist die aristotelische Lehre für uns von Belang, insofern das gewisse Übersetzungsproblem von organon produktiv ist. Aristoteles handelt nicht nur seine Lehre vom Werkzeuggebrauch mit Hilfe dieses Begriffes ab, sondern bezeichnet auch das Korpus seiner logischen Schriften als Organon. Das Echo, das dieser Begriff mit unserer Vorstellung von »Organfunktion« auslöst, ist mehrfach gewinnbringend verwertet worden, zuletzt um 1960 von Raymond Ruyer in seiner Schrift Néofinalisme (Paris 1952), die von nicht zu unterschätzender Bedeutung für Gilles Deleuze gewesen ist und deren Kapital erst allmählich erkannt und ausgewertet wird. Wie im Titel anklingt, ist Ruyer Teleologe im aristotelischen Stil, interpretiert allerdings das Thema organon diesmal exklusiv physiologisch und zellbiologisch, wobei er auf der Grundlage einer Art von finalistischem Emergentismus zu interessanten Schlüssen kommt. Auch ein weiterer aristotelischer Begriff erfährt hier eine Aufwertung, nämlich der der Entelechie. Während nämlich die aristotelischen Werkzeuge nach dem Typ ihres jeweiligen telos nicht nur erzeugt, sondern auch analysiert werden können, gibt es eine besondere Organ-Klasse, und das ist die, die sich nach einem inneren Plan, nach einem in die Organisation dieser Organe zuinnerst eingeschriebenen Modell strukturiert.

Hans Driesch formuliert beispielsweise in seinem »Knüller« Der Begriff der organischen Form von 1919,2 dass die Entelechie »in die Materialität des Systems bestimmend eingreifende, selbst dem Begriffe der Eindeutigkeit unterstehende, umraumhafte und daher auch unörtliche Naturfaktor, in Bezug auf die Materie wirkt.«3 Was ihn beschäftige, sei dieser besondere, die bisherig bekannten Kausalitätstypen überschreitende Kausalitätstyp, der mit »Entelechie« gemeint ist. »Die Frage nach der Wirkungsweise der Entelechie auf Materie hat natürlich ihr Gegenstück in der Frage: Wie wirkt Materie auf Entelechie, wie ›affiziert‹ Materie den umraumhaften Naturbestimmer?«4

In den Schriften von Deleuze/Guattari ist deutlich zu erkennen, wie stark die beiden Diskurse, der Instrumente/Apparate-Diskurs und der physiologische bzw. Organdiskurs seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts ineinandergreifen. Das hat zur Folge, dass die Überlegungen zum Thema Medien und Apparategebrauch unter dem Gebot einer Logik stehen, die komplexe, nicht-quantitative, nicht-mechanische Formen der Rückkopplung zu denken weiß. Das gilt auch für zeitgenössische Auseinandersetzungen, die – das meine These – in weiten Teilen diesen Anforderungen nicht gerecht geworden sind.

Ein Loop: Zurück zu den Organen / Werkzeugen der Renaissance

Die Renaissance-Theoretiker und -Praktiker schließen ihre Überlegungen an verschiedenen Momenten des aristotelischen Diskurses an. Dieser bleibt in jedem Fall privilegiert, und zwar deshalb, weil einerseits Aristoteles der kanonisierte Philosoph des Mittelalters war, nun aber weder Platonismus noch Neuplatonismus eine einigermaßen befriedigende These zum Thema des Werkzeuggebrauches anzubieten gehabt hätten. Die Fixierung des Platonismus und des Neuplatonismus auf die Angelegenheiten des Geistes lassen die spärlichen Ausführungen zum Thema Leib oder gar zum Verhältnis Leib/Gerät, die sich in seinem Rahmen finden, als Aperçus erscheinen, deren philosophischer Wert sich in Grenzen hält. Die mittelalterliche Geräte-Theorie entwickelt eine aristotelische Version der Organizität insofern, als die Geräte sich als mechanische Modelle von Arbeitsstereotypen des menschlichen Körpers verstehen lassen. Besonders Handerweiterungen bis ins Monströse folgen diesem Schema. Leonardo da Vinci wäre nun dieser Linie unbedingt zuzuordnen. Seine Zeichnungen von Gerätschaften aller Art, die moderne Interpretationen leicht als spontanen Ausfluss einer genialen Einzelerscheinung apostrophieren, gehören logisch und folgerichtig zum Feld des aristotelischen Technikverständnisses, was dann auch wieder verständlich macht, wie figürliche Malerei und Maschinenphantasien zusammenhängen.

Etwas komplizierter sieht es bei denjenigen Theoretikern aus, die sich auf die Organon-Lehre des Aristoteles in Hinblick auf dessen Einstufungen des »zoon logon echon« gründen. Über die Vermittlung der Sprache als Organ ergeben sich möglicherweise andere Geräte- und Apparateklassen als die, die Niere oder Hand als Referenz einer Funktion denken. Hier setzt dann jenes Argument an, das man aus späteren anthropologischen Diskussionen kennt, nämlich jenes, dass die Gabe des Geistes das Universaltalent schlechthin darstelle, welches ermögliche, dass man alles das, was Tiere als nicht veränderliche Ausstattung mit sich tragen, als frei bewegliche, zu erfindende und zu verbessernde Zweit-Natur ingenieurhaft ausarbeiten könne oder dürfe.

Giovanni Paolo Lomazzo etwa, ein Mailänder Maler des 16. Jahrhunderts, Zeitgenosse Giordano Brunos, beschäftigt sich in der Einleitung zu seinem Trattato della Pittura grundsätzlich mit der Frage, welchen Ort denn die Malerei beanspruchen dürfe.5 Lomazzo hat – was mit Blick auf den Charakter der modernen Theoriebildung eine sprechende Tatsache ist – sich erst nach seiner Erblindung, die in seinem 33. Lebensjahr eintrat, der Kunsttheorie gewidmet. Lomazzo verfolgt einen höchst unbescheidenen Anspruch, der der Absicht unserer Untersuchung entgegenkommt. Er entwirft zunächst ein Tableau, in dem er ausmalt, wie Gott mit gütiger Hand die Gaben über das Menschengeschlecht ausstreut. Diese Gaben bestehen just darin, dass die Menschen in die Lage versetzt werden, sich für die verschiedenen Bedingungen und Umstände ihrer Existenz Rüst- und Heilmittel zu erfinden. Gegen die Unberechenbarkeit des Jäger- und Sammlerlebens haben sie, infolge der göttlichen Milde, als erstes die Agrikultur, gegen die Unbeständigkeit der Temperatur die Bekleidung, gegen die Zerbrechlichkeit der menschlichen Natur die Medizin und Pharmakologie, gegen weitere Anfälligkeit die Kunst, sich zusammenzutun und infolgedessen die Ökonomie und Politik erfinden können. Ursache aller dieser Erfindungen und Künste ist aber immer die eine und höchste Gabe, die alles bewirkt, nämlich der Intellekt bzw. »questa potenza intellettuale«.6 Dass der Intellekt sich aufs Erfinden verlegt, liegt aber in seiner Natur: denn er hat ein »bisogno di ministre e serve que l’aiutono«,7 d.h. er ist auf eigentümliche Weise dazu disponiert, sich Hilfsmittel zu projektieren. Das ihn darin unterstützende Vermögen sei das Gedächtnis, wie Lomazzo in Berufung auf die Philosophen behauptet. Das Denken baue sich nämlich durch die phantasmata auf, die im Gedächtnis als »tesoriera de suoi tesori« (Schatzhaus seiner Schätze) enthalten seien. Ohne Gedächtnis also und ohne dessen Schatzhausfunktion sei der Intellekt als solcher wiederum nichts, weshalb es zulässig sei, die »memoria intellettuale« mit dem Intellekt selbst gleichzusetzen. Was Lomazzos Argumentation interessant macht, ist nun der nächste Schritt seiner Erörterung: wenn also das »intellektuelle Gedächtnis« mit dem Intellekt gleichzusetzen sei, wird ein Hilfsmittel in Ansatz gebracht werden müssen, das die Funktion des Intellekts sicherstellt. Dieses Hilfsmittel bestehe in der memoria corporale.8 Mit Hilfe des körperlichen Gedächtnisses führt der Intellekt »l’operazione sua d’intendere« aus, setzt seine Absichten in Werk und Wirklichkeit. Doch sei auch die memoria corporale ihrerseits wieder nicht ausreichend, da sie, wenn sie »voll« ist, der Eigenschaft aller Gedächtnisse folgend, ihren Überfluss einfach abwirft und sich entleert oder entledigt wie ein überfülltes Gefäß. Sie bedarf daher einer »Sicherung« – »si dimostra più chiaro che’l sole«, klarerweise. Sie bedarf – hier nun verblüfft der Autor – der Malerei.

Für Lomazzo stellt die Malerei eine sacra scriptura von der Art der Hieroglyphen dar. Er ebnet die in der Renaissancephilosophie (oder: Medientheorie) als prekär diskutierte Kluft zwischen Bild und Schrift ein, indem er die Malerei zur Schrift »all’ chiar’oscuro« erklärt.9 Die Malerei als Haupthilfsmittel der memoria corporale sei zu Gunsten aller Künste und Wissenschaften erfunden worden; ohne sie gäbe es überhaupt nicht jene Anreicherung, jenes Virulentwerden der Erfahrung in der Genesis der Kultur und des Bewusstseins; es gäbe nur dieses erwähnte Über- und Abfließen im Falle des »Vollwerdens« des Gedächtnisses und damit nur die – stets gefährdete – Homöostase, keine Entwicklung, nirgendwohin. In dem Augenblick aber, in dem sich das Gedächtnis an die Malerei bindet, kann sie materiell, konkret und technisch über die Idole und Bilder aller Dinge verfügen, die potentiell unendliche sind.

Lomazzo stellt uns mit seinen Überlegungen ein Modell zur Verfügung, in welchem die Malerei als Stabilisierung des Intellekts über die Vermittlung der memoria corporale auftritt. Um den Intellekt legen sich wie Ringe, in denen sich seine Wirkungsgrade manifestieren, die Architekturen seiner Instrumentation an. Jeder dieser Ringe steht für eine bestimmte Modifikation des Intellekts. Der innerste Ring wird von der Malerei gebildet. Der Intellekt investiert also in ein herausragendes Medium, das seinen Stabilisierungsbedarf erfüllt.

Interessant ist nun in jedem Fall, dass und wie Lomazzo sich als sensibel für den Umstand zeigt, dass es eine Form der organizistischen Herabstimmung des Intellekts bedarf, um zu einer wirklichen Organologie zu kommen. Um zu vermeiden, dass Intellekt und Körper – dieser als stellvertretend für die Natur – sich einander unvermittelt gegenüberstellten, sucht er ein Mittleres und findet dieses in der memoria corporale, welches mit anderen Worten die Ebene des »Organautomatismus« darstellt. Das die Frühmoderne und die Moderne durchziehende Problem, wie das Denken jener Automatismen, die unmittelbar Organizität des Leibes und Organizität technologischer Natur miteinander fusionieren, zu entwerfen sei, ist mit diesen Überlegungen Lomazzos bereits auf höchstem Niveau fixiert. Was allerdings den gewissen Vorteil von Lomazzos Reflexion bildet, ist der Umstand, dass er zu einem optimistischen, ja geradezu euphorischen Technologiekonzept kommt, indem er die Kunst an dem Ort einsetzt, an welchem die Moderne in einem – zumindest tendenziellen – Techno-Pessimismus die neue Opposition zwischen Natur und Technologie affirmiert. Dass die Renaissance über einen solchen Pessimismus nicht verfügt hat, sondern gerade in der breit geführten Memoria-Diskussion eine anthropologisch und philosophisch relevante Automatismus-Debatte geführt hatte, das ist bislang weder ausreichend erkannt noch gewürdigt worden. Aus diesem Grund kann es so wirken, als würde erst die Moderne so etwas wie eine Technologie-Debatte überhaupt führen, und als könne man erst in der Moderne berechtigterweise von Technologie sprechen. Zu diesem Zeitpunkt aber hatte sich der Techno-Pessimismus – einmal abgesehen von den eher idiotischen, technikberauschten Manifesten der Futuristen – bereits durchgesetzt.

Anthropologie des Mangels:
negative Technosophie des 20. Jahrhunderts

Bis in die siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts wirkt die negative Anthropologie der Technik nach. Während sich die Technologien in höchster Geschwindigkeit entwickeln und anspruchsvollste Differenzierungen erfahren, fällt das Diskursniveau bis auf wenige Ausnahmen wie etwa Gilbert Simondon und den exaltierten Kroker auf einen theoretischen Primitivismus zurück, der eine tiefe Spaltung von natürlicher und technischer Welt unausweichlich macht. Zugrundeliegende Annahme ist die von der Defizienz des Menschen, die, wie wir gesehen habe, auch dem Renaissance-Ästheten Lomazzo nicht fremd war. Allerdings führt die Defizienz-These jetzt zu einer Vorstellung von höchster Allgemeinheit, nämlich zur Idee, dass es just diese Defizienz sei, die den Menschen dazu zwinge, auf seinem Sonderweg aus der Natur auszuscheren. Vor allem Arnold Gehlen spielt für diesen Gedanken eine Rolle, indem er in einer technischen Variante des Aristotelismus aus den bestimmungsmäßigen Defekten des Menschen, die insgesamt eine aus der neotenischen Position resultierenden Arretierung auf einem hohen Entwicklungspotenzial (zu Ungunsten der Ausdifferenzierung) darstellt, die Konsequenzen zieht: Kultur und mit ihr alle Apparaturen, Institutionen, Strukturen sind kompensatorisch (ähnlich: André Leroi-Gourhan, dessen Einfluss auf die Theoriebildung der siebziger und achtziger Jahre nicht unbeträchtlich war). Die Depression des kompensierenden Tieres ist auf dieser gedanklichen Linie vorprogrammiert. Lomazzos Euphorie über den sich durch die Nicht-Bestimmtheit des Menschen sich öffnenden Raum der Kunst ist an dieser Stelle nicht mehr nachvollziehbar.

Es wird also darüber nachgedacht, wie Menschen in diese Position, die nachgerade eine Opposition zur Natur ist, geraten sein könnten, und es wird nun nicht ausgeschlossen, dass es so etwas wie eine nicht-technologische menschliche Existenz geben könne, ein paradiesisches In-der-Welt-Sein ohne die Einführung jener Trennung, die durch die Technik ebenso bestätigt wie unwiderruflich wird. Genau diese Idee trägt die grüne Bewegung der Siebziger, von der sich erweisen sollte, dass es gerade ihr schwacher Naturbegriff sein sollte, der sie in theoretische und politische Aporien und Ambivalenzen steuerte. Heideggers Seinsmetaphysik führt durchaus diesen gewissen pessimistischen Ton mit, auch wenn die gesamte Lehre des Zeuges und der Welteinrichtung diesen in einer Unzahl phänomenologischer Makro- und Mikroanalysen bis zur Unkenntlichkeit überlagert.

Im Übrigen sind diese Wege der modernen und postmodernen Technikphilosophie unfähig, die Opposition zwischen Natur und Kultur zu unterlaufen, da diese ihrerseits nach dem Bilde des »Organismus«, der sich gegen eine Umwelt behaupten muss, gefertigt sind. Das heißt, mit anderen Worten, dass die Interpretation des Lebens bzw. des Lebendigen bereits die Matrize für die Interpretation der Beziehung zwischen Menschen und den anderen Lebewesen bildet, nach dem Grundsatz von Walter B. Cannon: »The Body as a Guide to Politics«.

Diesen Grundsatz des Physiologen beherzigend, beginne ich also mit einer neuen Linie von Technikverständnis, die ihrerseits eine alte ist, wenn nicht älteste – notgedrungen, nämlich mit einer, die die Menschenmacherei als erstklassige Technologie begreift. In einer radikalen Konsequenz müsste jede Form der Technik als eine Variante, Metapher oder Herleitung aus diesem Prinzip verstanden werden. Es ist klar, dass eine solche Konsequenz die Parameter sowohl von Technikverständnis als auch von Technologien als produktive Felder verschieben werden müssen. Zunächst mein Vorschlag.

Der Techniker ist ein Mädchen10

Eine gute Gepflogenheit aufnehmend, bediene ich mich bei der Einführung meiner Thesen eines Ritornells, einer mythischen Erzählung. Die Geschichte des Dädalus führt uns nämlich die hauptsächlichen Gegenstände vor, um die es geht, wenn die Menschenmacherei, also die erste design anthropology, ins Zentrum einer technosophischen Analyse rückt. Die Dädalus-Erzählung als Mythe des ersten Technikers müsste also eigentlich über einen Schlüssel verfügen, der das Technik-Problem »knackt«. An Stelle des schizoanalytischen Vierecks, das Deleuze und Guattari mit dem maschinischen Phylum, dem Flux der Libido und des Kapitals, den immateriellen Konstellationen und dem Territorium konstruieren, gibt es unter dem Horizont der dädalischen Erzählungen ein stärker plastisch akzentuiertes Viereck, das in dieser Verfassung darauf hinweist, dass die Technologie, um die es geht, zuerst die Produktion des Körpers ist, genauer: die Reproduktion. In der Mythe von Dädalus ist von vier Gegenständen die Rede, und zwar sind dies die Folgenden: das Labyrinth, die lebendigen Statuen,11 der Kopulationsapparat der Pasiphae und der Satellit.12 Der »Satellit« ist im Übrigen meine moderne Paraphrase über die Flugfähigkeit des Dädalus, die er benutzt, um Überblick über den Plan des Labyrinths zu bekommen.

Zuerst also tritt das Labyrinth als eine Welt repräsentierende Architektur auf. In unfehlbarer logischer Folge stellt sich Dädalus sogleich als Ingenieur der Automaten vor, als Erfinder der lebendigen Plastiken, die der Ingenieur, wie es heißt, vor dem Labyrinth hin- und hermarschieren lässt. Diese beiden Gegenstände, das Labyrinth und die Automata, bilden ein Set, das mütterliche Produktivität im Spielzeugmodus präsentiert: zur im Labyrinth verkörperten vormenschlichen Mutter (generierender Innenraum) gehören die beweglichen und orakelnden Plastiken, die aus ihr entspringen und »vor dem Eingang« herumgehen. Im dritten Hauptgegenstand, im Kopulationsapparat der Pasiphae, wird die in gewisser Weise totemistische Logik des dädalischen Imaginariums gegenständlich. In diesem Apparat erscheint nämlich der zentrale Operator (Ding mit genitaler Funktion), der die parallelen Reihen herstellt und Mensch und Tier verbindet (Kopulation als Funktor »Kopula«). Es handelt sich um einen Apparat, der, wie alle Gegenstände, die in die Geschichte der technischen Entwicklungen eingehen, noch entschieden verbessert werden wird. Er wird, wie wir noch sehen werden, für die Elektrisierung die Hauptrolle spielen. Zunächst ist er buchstäblich Kopulationsapparat, also jene hochinteressante Maschine, die die Kopula herstellt (also das »ist« erzeugt), der privilegierte Apparat, der Sein produziert. Der vierte Gegenstand expliziert eine wesentliche systemische Qualität des Labyrinths. Er ist, wie gesagt, Dädalus selbst, der, wie die Geschichte berichtet, sich aus dem Zentrum des Labyrinths in die Lüfte erhebt und davonfliegt.13 Er verkörpert den »externen Beobachter« als Deus ex machina, der sich orientiert, der Orientierung der labyrinthischen Desorientierung entgegensetzt. Dädalus sichert, als sein Ingenieur, die Komplexität des Labyrinths, in welchem er zugleich ist und nicht ist. Diesen vierten präödipalen Gegenstand hat erst die jüngere dädalische Phantasie in einen Apparat verwandelt, eben in den erwähnten Satellit, der die antiken »Unterweltdienste«, der unterirdischen Orakelstätte durch ein technisches Gegenstück, den Flugapparat bzw. die fliegende Auskunftsstation, ablöst. Dädalus als Interpret des präödipalen Horizontes verfertigt aus Zuständlichkeiten Gegenständlichkeiten und archiviert in diesen Gegenständen wesentliche Szenen der »interkorporealen« Kommunikation, auf die der (Kind-)Körper spezialisiert ist. Insofern wird also Dädalus mit Recht als erster Ingenieur gefeiert, weil in seiner Mythe die originäre Beziehung zur Phantasie des Mädchens ganz offensichtlich ist. Dädalus ist gewissermaßen Komplize der Ariadne, die über die primitive Version genau seiner Fähigkeiten verfügt. Insofern nämlich sich das Mädchen zwischen zwei Geburten befindet, zwischen seinem Geborensein und dem Gebärendwerden, imaginiert es sich als dasjenige, das über einen Körper produzierenden Körper verfügt, also »sprechende Automaten« erzeugen kann. »Technologie« hat unter diesem Horizont die Aufgabe, die Funktion dieser Produktion offenzulegen (nicht zu entwenden, wohlgemerkt).

Schluss:
Devenir fille (Deleuze/Guattari) / Electro- oder Elektradesign

»Wenn man annehmen müsse, dass ein Magnet unter Umständen auf einen Menschen einwirkt, so dürfe es nicht als absonderlich erscheinen, wenn dieser Mensch wieder einen zweiten beeinflusst, so wie ein weiches magnetisiertes Eisenstück die Eigenschaft erhält, ein zweites anzuziehen. Diese Analogie verringert nämlich nicht die Wunderbarkeit der Tatsache, dass ein Nervensystem durch andere Mittel als durch die uns bekannten sinnlichen Wahrnehmungen ein anderes Nervensystem beeinflussen kann. Man muss vielmehr zugeben, dass eine Bestätigung dieser Versuche unserer Weltanschauung etwas Neues, bisher nicht Anerkanntes hinzufügen und gleichsam die Grenzen der Persönlichkeit hinausrücken würde.«14

Die Synchronizität der Hysteriedebatte und der ethnologischen und psychoanalytischen »Totemismuswut«, die von Lévi-Strauss konstatiert worden war, ist mit Sicherheit kein Zufall. Die tiefgreifenden Veränderungen, die sich um die Jahrhundertwende durch die technischen, vor allem die elektrischen Inventionen in der Darstellung und in der Selbstwahrnehmung der Psyche zutrugen, sind ausführlich thematisiert und rekonstruiert worden. Sollte es vielleicht doch so sein, dass »Elektra« und »Elektrizität« etwas miteinander zu tun haben? In den Hysterikerinnen, die sich als Objekte des männlichen diagnostischen Blicks oder als Maschinen von Techno-Heroen wie eine Eve future begriffen, bahnte sich ein Symptom den Weg, das als Explikation des Mädchens in Zeiten der Elektrisierung verstanden werden kann. Der Kurzschluss zwischen dem Gefühl der Natur und der schizosomatischen Kompetenz des Mädchens brachte eine alte Identifikation wieder ans Licht. Joseph Breuer über die Hysterikerin: »Es wird wohl kaum den Verdacht erregen, ich identifiziere die Nervenregung mit der Elektrizität, wenn ich noch einmal auf den Vergleich mit einer elektrischen Anlage zurückkomme. Wenn in einer solchen die Spannung übergroß wird, so besteht die Gefahr, dass schwächere Stellen der Isolation durchbrochen werden.«15 Das Mädchen, das mit der »Mutter« mitfühlte, erlitt mit ihr die elektrischen Konvulsionen, was derart Bewegung in die erstarrten Verhältnisse brachte, dass man glaubte, ein Stromschlag wäre geradezu die ideale therapeutische Maßnahme. Elektra ist die »Überspannte«. Die »Mutter«, mit der sie fühlt, ist für die Hysterikerin die Gebärmutter, deren eigenmächtige Bewegungen sie in Krämpfe und Ohnmachten fallen lässt.16 Diese sich selbst bewegende Mutter ist das Tier, la bête noire.17 An den sich zu hysterischen Bögen windenden Frauen ließ sich sehen, was es heißt, zwischen mächtigen Polen als elektrischer Leiter gespannt zu werden. Die Frau, der ein Intimverhältnis mit der Natur unterstellt wurde, wurde aufs Neue für ihre Empfindlichkeit, für ihr überdurchschnittliches Fühlen und für ihre Magnetisierbarkeit berühmt. Die Elektro-Energie schien sie sofort auf ihre affektive Basis-Frequenz zu stimmen, wodurch wiederum ihre Unterlegenheit dem aktiven, unempfindlichen männlichen Zugriff gegenüber deutlich zum Vorschein kam. Die Hysterie führte in jedem Fall eine neue, spannungsreiche Komponente in das Geschlechterverhältnis ein, die seit ihrer Entdeckung nicht aufgehört hat, das Imaginarium in seinen Bann zu schlagen.18 Georges Didi-Huberman beschreibt unter dem Titel »Da kommt die Wahnsinnige« eine Hysterikerin, die »vorübertänzelt«; eigentlich ist es Elektra, die da geht. »Die Kinder verfolgen sie mit Steinwürfen, als wäre sie eine Amsel. Die Männer verfolgen sie mit Blicken.«19

1877 macht Thomas Alva Edison die elektrische Glühlampe anwendungstauglich, was zu einer Revolution der Straßenbeleuchtung und zur Erstellung größerer Stromnetze führt. Diese »Demokratisierung« der Verwendung von Elektrizität, die an eine lange Reihe ihr vorausgehender Erfindungen (von Gottfried Wilhelm Leibniz, Pieter van Musschenbroek, Benjamin Franklin, Luigi Galvani, André Marie Ampère, Georg Simon Ohm, Michael Faraday, James Prescott Joule, James Clerk Maxwell, Werner von Siemens) anschließt, macht sie zu einem grundlegenden Faktor der alltäglichen Lebens.

»Ô feu subtil, âme du monde,

Bienfaisante électricité

Tu remplis l’air, la terre, l’onde

Le ciel et son immensité.«20

Die Geschichte geht natürlich noch viel weiter zurück. Die Griechen kannten die elektrostatische Aufladung des Bernsteins, der Elektra den Namen gab. Ein parthisches Tongefäß aus dem 1. Jahrhundert v. Chr., das 1936 von Wilhelm König in der Nähe von Bagdad gefunden wurde, enthielt einen Eisenstab und einen Kupferzylinder, der mit Asphalt abgedichtet war. In Versuchen des Römer- und Pelizäus-Museums in Hildesheim konnte gezeigt werden, dass in dieser Vorrichtung mit Hilfe von Traubensaft als Elektrolyt eine Spannung von 0,5 V erreicht werden konnte, die offenbar zum galvanischen Vergolden benutzt wurde. Auch das präödipale Spielzeug, welchem Dädalus in Gestalt der Kopulationsmaschine der Pasiphae einen ersten Bauplan gegeben hatte, machte »Strom«21, nämlich durch koitale Reibung. Die Leistung des Dädalus hatte darin bestanden, die Dominanz der symbolischen Mutter in diesem Apparat (machenschaftlich) zu suspendieren, ohne dass die »Funktion« (der genitalen Friktion) verloren ging. Da die Kollision zwischen der symbolischen Ordnung der Mutter und der symbolischen Ordnung des Vaters als Streit um die genitale Macht, um die Zeugungskraft, ausgetragen wurde, musste diese erst einmal auf neutralem Terrain in Sicherheit gebracht werden. Man wird Dädalus mit gewissem Recht dafür preisen, die ersten Schritte in eine Maschinisierung dieser Kraft, der Aussetzung des Streites zuliebe, getan zu haben. In den Elektrizität erzeugenden Dispositiven hat man fortgeschrittene Zeugungsmaschinen, mit deren Hilfe, wie man an den Metropolis- und Frankensteinphantasien ablesen kann, sich Leben in die Statuen hineinblasen lässt. Das Verhalten der elektrischen Ladungen von Leitern wird folgerichtig in der Festkörperphysik untersucht, die zum Horizont des Plastischen, also zur Konstellation der präödipalen Phantasie, gehört. Die Affinität, die Körper zueinander haben, äußert sich »elektrisch« als Energie der schizosomatischen Affektion.

Die Lektion kann eigentlich erst dann aus der Elektrisierung gezogen werden, wenn die (hysterischen) Symptome des Mädchens abebben. Ihre »Überspanntheit« lässt nach, wenn der »Strom« wieder frei fließt und die Privilegien der Energieproduktion, die bisher entweder von einem mütterlichen oder einem väterlichen Monopol verwaltet wurden, diesen entkommen. Der Schluss, den wir daraus zu ziehen haben werden, läuft auf eine Umwertung der Erde selbst hinaus: sie kann nicht Mutter sein. Sie (oder soll man jetzt schon SIE im Plural sagen?) muss/müssen als riesiger Elektromagnet, zweipolig organisiert, zu ihrer Zwitterhaftigkeit zurückfinden, die sie erst instandgesetzt hat, Transformator und Generator von Energie zu werden. Eine Erde, die mittels ihrer Bipolarität Magnetfelder aufbaut, die ihre Ionosphäre elektrisiert, ist selbst ein Friktion erzeugender Doppelkörper, eine exquisite Transformationsmaschine, ein Proliferationsparadies, ein zweipoliges Energiewunder, ein rundes Paar oder zweigeschlechtlicher platonischer Urkörper ohne Arme und Beine. Die Erde selbst hat sich auf die Produktion dieser geschlechtlichen Körper spezialisiert, die infolge der Verwertung der zweipolig organisierten Erd-Energie, welche so deutlich im Vorgang der Zellteilung, in Maiose und Mitose zu sehen ist, sich als unterschiedlich ausgestattete vorfinden. Aus diesem Grund muss der Erde selbst als primordialer Horizont des Kreatürlichen auch das Väterliche und Männliche zugestanden werden. Es ist nicht die »Schuld« der Menschen, dass sich das Erd-Weibliche und das Erd-Männliche in ihren Körpern ausdrückt, und ebenso wenig ist es ihre Aufgabe, sich um den Vorrang des Einen über das Andere zu streiten. Die Inszenierung der menschlichen Geschlechter kann und soll auf dem Hintergrund der erdlogischen parenté wieder zu einem Spiel, zu einem Kinderspiel werden. Es ist die durch die menschlichen Körper »durchgehende« Erde, die das Patent und das Privileg auf die Erfindung der geschlechtlichen Differenz besitzt und der deshalb auch die Verantwortungslast für diese Idee und dieses Werk wieder zurückgegeben werden darf. Im Rückspiegel sieht der Kampf der Geschlechter wie eine zwiefache falsche Anmaßung aus. Die Zeit ist jetzt reif für das Kinderspiel, was überdeutlich wird in den gadgets, die heute Verwendung im großen Stil finden. Die neuen Populationen sind Komplizen desselben Spiels mit denselben Spielzeugen. Meistens sind es »Verbindungsspielzeuge«, also in der Tat die gadgets des Mädchens, nämlich des symbolischen Mädchens, das Nymphe ist und Baum, Narzisse und Transplant, Hündchen, blühendes Tal und Kraut in den Pflasterfugen.

1. S. Elisabeth von Samsonow: »Leben und Tod der Natur. Überlegungen zur Mechanik Leonardo da Vincis«, in: Florian Rötzer (Hg.): Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien, Frankfurt/Main 1990.

2. Hans Driesch: Der Begriff der organischen Form, Berlin 1919 (= Abhandlungen zur theoretischen Biologie, hg. von Julius Schaxel, Heft 3).

3. Ebd., S. 57.

4. Ebd., S. 61.

5. S. dazu Elisabeth von Samsonow: »Giovanni Paolo Lomazzo«, Lexikonartikel in: Julian Nida-Rümelin und Monika Betzler (Hg.): Ästhetik und Kunstphilosophie. Von der Antike bis zur Gegenwart in Einzeldarstellungen, Stuttgart 1998, S. 502–507.

6. Giovanni Paolo Lomazzo: Scritti sulle arti, Nachdruck, a cura di P. Ciardi, Firenze 1973–74, Bd. 2, S. 12.

7. Ebd.

8. Ebd.

9. Schrift als »pittura di chiaro e d’oscuro«, »la pittura è instromento sotto quale è rinchiuso il tesoro de la memoria«, ebd., S. 13.

10. S. dazu ausführlich: Elisabeth von Samsonow: Anti-Elektra. Totemismus und Schizogamie, Berlin, Zürich 2007.

11. S. Françoise Frontisi-Ducroux: Dédale. Mythologie de l’artisan en Grèce ancienne, Paris 1975, Chap. 2, »Statues vivantes«, S. 96–117.

12. Dies.: »Die technische Intelligenz des griechischen Handwerkers«, aus dem Französischen übersetzt von Werner Rappl, in: HEPHAISTOS, Kritische Zeitschrift zu Theorie und Praxis der Archäologie und angrenzender Gebiete 1/12 (1992/3), S. 98–100 (zum Fug über das Labyrinth); »Daedalus, der sein Werk von oben beherrscht«, ebd., S. 98.

13. Nora und Gerhard Fischer haben in ihrem Dädalus-Projekt das dädalische Flugexperiment des MIT dokumentiert, s. Nora und Gerhard Fischer: Museum vom Menschen oder wo sich Kunst und Wissenschaft wieder finden, Wien 1996.

14. Sigmund Freud: »Referat über Obersteiner. Der Hypnotismus mit besonderer Berücksichtigung seiner klinischen und forensischen Bedeutung« (1887), in: Ders.: Gesammelte Werke, a.a.O., Nachtragsband, S. 105.

15. Josef Breuer: »Theoretisches«, in: Freud: Gesammelte Werke, a.a.O., Nachtragsband, S. 261.

16. »… das bedeutet, dass der Uterus fähig ist, sich zu bewegen. Was wiederum bedeutet, dass diese Art ›Glied‹ der Frau ein Tier ist.« Georges Didi-Huberman: Die Erfindung der Hysterie. Die photographische Klinik von Jean-Martin Charcot, aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort von Silvia Henke, Martin Stingelin und Hubert Thüring, München 1997, S. 80.

17. Freuds Bezeichnung für die Hysterie, zitiert nach Didi-Huberman: Die Erfindung der Hysterie, a.a.O., S. 79.

18. S. dazu die umfangreiche Auseinandersetzung von Elisabeth Bronfen: Das verknotete Subjekt, Berlin 1998.

19. Didi-Huberman: Die Erfindung der Hysterie, a.a.O., S. 79.

20. Aus einer französischen Zeitung von 1784, zitiert nach: Paola Bertulucci: »Promethean Sparks. Electricity and the Order of Nature in the Eighteenth Century«, in: Siegfried Zielinski und Silvia M. Wagnermaier: Variantology I. On Deep Time Relations of Arts, Sciences and Technologies, Köln 2005, S. 41–56; »Oh subtiles Feuer, Seele der Welt, Wohltäterin Elektrizität / Du erfüllst die Luft, die Erde, die Welle / Den Himmel und seine Unermesslichkeit.«

21. Durch die koitale »Reibung«: »Every ›electrician‹ was aware, that the human body is a conductor of electricity, and experiments that exploited this property proliferated. With the aid of a mechanical device that acted as a source of friction (the electrical machine), many amusing experiments could be easily performed. Electricity could turn bewigged ladies into electrifying Venuses whose sparkling would not be forgotten […]«, ebd., S. 41f.

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Peter Berz (éd.), Marianne Kubaczek (éd.), ...: Spielregeln. 25 Aufstellungen

Spielregeln eröffnen ein Feld, in dem das Denken des Konkreten mit dem des Abstrakten immer schon konvergiert. Sie geben Urszenen einer kultur- und medienwissenschaftlich erweiterten Philosophie zu denken. Das hier vorliegende Buch versammelt fünfundzwanzig Spielregeln um das Werk eines Wissenschaftlers, der wie kaum ein anderer dem Denken des Konkreten als Allgemeines verpflichtet ist.

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